Montag, 26. Januar 2015

Michel Houellebecq - Unterwerfung

Der Roman der Stunde – Houellebecq polarisiert - Für die einen grossartig – für die anderen fürchterlich.

Michel Houellebecq schreibt was er beobachtet, mischt seine Neurosen dazu und fürs Marketing bedient er sich an Skandalszenen. Eine Mischung die funktioniert, nicht zuletzt dank seinen gesellschaftlichen Beobachtungen die schmerzhaft aber im Wahrheitsgehalt hoch sind. Ein Konglomerat das mir gefällt und bereits in den Büchern "Ausweitung der Kampfzonen" und "Elementarteilchen" zum Tragen kommt. Letzteres übrigens finde ich immer noch eines der besten Bücher der letzten Jahrzehnte. Kaum ein anderer Autor schafft es, der Gesellschaft so direkt den Spiegel vorzuhalten wie Michel Houellebecq.

„Man wählte einen Mitte-links-Kandidaten, abhängig von seinem Charisma für die Dauer von einem oder zwei Mandaten…… Dann wurde das Volk dieses Kandidaten überdrüssig - …. - woraufhin die Wähler einen Mitte-rechts-Kandidaten an die Macht brachten,…"

Oder:

„Mir war aber bereits klar geworden, dass der sich seit Jahren verbreiternde, inzwischen bodenlose Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprachen - also Politkern und Journalisten -, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbarem führen musste"

Ein unterschwelliges Gefühl brodelt in unserer Gesellschaft und irgendwann entlädt sich dies. Ein solches spüre auch ich bei meinen Mitmenschen oder lese ich in Zeitungen, im Internet oder sehe ich im TV. Täglich gibt es Nachrichten über Menschen die auf die Strasse gehen und gegen etwas demonstrieren. Gegen eine diffuse Angst die nach Antworten sucht. Eine Angst die aber das leichteste Ziel auswählt, welches schwach ist aber dankbar zum Auf- und Angreifen.

Im Buch beobachtet und berichtet Francois über seine Mitmenschen. Er selber aber lebt einfach vor sich hin und schaut was sich so ergibt. Wenn man für ein ordentliches Leben mit sehr gutem Gehalt und mehreren Frauen zum Islam konvertieren muss, dann sei es so.

Der Mensch gibt sich offensichtlich seinem Schicksal hin mit dem Gefühl, dass er es selber gar nicht mehr lenken kann. Die Überforderung bedient sich dem Zynismus, denn schliesslich wird nicht mehr viel erwartet.
Natürlich bedient sich Houellebecq wiederum einigen Klischees - da ist die „Islamisierung“ erst von Frankreich, dann von ganz Europa. In der Folge wird die Emanzipation der Frau komplett rückgängig gemacht. Francois der Protagonist des Buches stört es überhaupt nicht, dass die Frau dem Mann wieder untergeordnet ist. Hat er doch bis anhin vor allem mit seinen Studentinnen rumgemacht, was mit zunehmendem Alter immer schwieriger wurde. Dank der Einführung der Polygamie, und vor allem der Heiratsvermittlungsagentur kann er nun auch dieses Problem lösen.

Aber zwischen dieser Gleichgültigkeit und dem Auskosten diverser Klischees liegt wie so oft bei Houellebecq etwas anderes. Ähnlich wie bei Elementarteilchen wo die Erlösung durch die Entwicklung einer neuen Spezies und die Transzendierung des Egos erfolgt, versucht er bei „Unterwerfung“ eine Erlösung beziehungsweise eine Erleichterung zu finden. Und zwar über die Religion.

Jemand der so genau über das Thema Religion schreibt, der die verschiedenen Glaubensrichtungen auseinander nimmt und gegen einander stellt, muss sich tief damit auseinandergesetzt haben.

Aufgrund der Entwicklungen in den letzten Wochen scheinen die Thesen des Buches nahezu prophetisch. Mit dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am Erscheinungstag des Buches hat die ganze Geschichte eine unglaubliche Wendung genommen. Aber durch den Gedenkmarsch von 1.5 Mio. Menschen durch Paris, wurde ein Teil des Buches praktisch widerlegt. Diese Menschen haben gezeigt, dass es ihnen nicht Gleichgültig ist, was in unserer Gesellschaft passiert.

Und doch kann man sagen, dass wir momentan in einer verunsicherten Gesellschaft leben. In einer Gesellschaft in der die Individualität immer mehr zunimmt, dafür aber das Verbindende abnimmt. Nur in Extremen wie bei einer Katastrophe kann wieder eine Verbindung respektive Solidarität entstehen.

(Hinter)fragen wir uns doch mal:

Welches unsere Ideale sind? Und was wir als Gesellschaft erreichen möchten? An was glauben wir überhaupt?

Der Kapitalismus (und zuweilen auch die Religion) offeriert uns dafür seit Jahren kurzfristige Antworten. Wie sieht es mit den langfristigen Antworten aus? Das Buch spielt mit dieser Verunsicherung und ist auch deshalb so lesenswert.

Der Roman ist in erster Linie unterhaltend, es macht Spass die Geschichte dieses alternden Universitätsprofessors zu lesen und nebenbei spielt sich ein Umbruch in Frankreich ab. Houellebecqs "Unterwerfung" ist weder Islamophob noch rassistisch. Ich jedenfalls habe immer noch keine Angst, dass nun der Islam an die Macht kommen könnte.

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